Gespräch mit einem Psychologen: Schmerzwahrnehmung / Körperempfindung

Auch wer sich schon länger seiner Neigungen bewusst ist oder wegen seiner Sehnsüchte keine Probleme oder Selbstwertkrisen (mehr) durchleben muss, kann sich bei näherer Betrachtung seiner Lust durchaus fragen, warum etwas in der einen Situation verdammt weh tut und in der anderen eher Lust steigernd wirkt. Wie geht das, mit der Wahrnehmung von Lust und Schmerz? Im Sprachgebrauch, verwenden wir das gleiche Wort für das emotionale und das eher körperliche Spüren: wir spüren, fühlen etwas. Aber was ist eigentlich der Unterschied, psychologisch gesehen? Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Berührung, Wahrnehmung und erotischer Lust (von zart bis hart)? Und wo ist die Grenze zu ziehen, zwischen therapeutischer und rein wissenschaftlicher Psychologie, bei der Betrachtung des Menschen? Psychologie versucht ja nur die Mechanismen, die im Alltag zwischen Menschen wirksam werden, zu erklären. Wann können gefundene Mechanismen erotisiert und für Zwecke der Lust eingesetzt werden und wann wird es zu gefährlich, weil man sonst zu tief in die Psychokiste greift? Es ist schwer, die Fragen die wir beim letzten Termin gesammelt und M. Kief, Diplompsychologe aus Winterbach, unserem Gast, zur Kenntnis gegeben haben, wie oben, grob zu umreißen. Auch wenn es sicher nicht auf jede Frage eine eindeutige Antwort geben wird, ist es doch um so spannender, darüber mit einem Fachmann ins Gespräch zu kommen, der gerade nicht aus der SM Szene kommt und die Thematik eher aus einer Außensicht kennt. Da der AK SMuC gemeinsam mit SundMehr mit dem örtlichen Kirchengemeinderat in Verhandlungen trat, ob das diesjährige Herbsttreffen des AK im ev. Kirchengemeindehaus stattfinden kann, wurden – trotz Ablehnung – eher offene, wie auch skeptischere Kirchengemeinderäte zwecks Aufklärung eingeladen zu dieser Veranstaltung zu erscheinen, wobei noch nicht feststeht, ob dies Angebot angenommen wird.

Rückschau

Mit dem bisherigen Teilnehmerrekord von 27 Anwesenden, traf sich am 27.05.2011 der Gesprächskreis SundMehr und freute sich, als Gast den Diplompsychologen M. Kief aus Winterbach begrüßen zu können, der bereits zum dritten Mal gerne bereit war, Fragen zu beantworten. Lieb sei es ihm, wenn es hierbei weniger zu einem reinen Referat kommen würde, sondern wenn die Anwesenden auch zwischendurch Rückfragen stellten. Angesichts der Differenziertheit der zuvor gesammelten Fragen, war es notwendig über Grundlegendes zum Thema Schmerz/Wahrnehmung zu erläutern und so fiel der Einstieg zwar etwas akademischer, dafür aber umso fachkundiger aus: Um die Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung und dem hervorgerufenen Gefühl darzustellen, legte er hierzu die „Zwei-Faktoren-Theorie“ von Staneley Schachter dar (interessierte können diese unter http://de.wikipedia.org/wiki/Zwei-Faktoren-Theorie_der_Emotion nachlesen). Wie ein Reiz also eingeordnet wird – selbst wenn er so stark ist, dass man es allgemein als „Schmerz“ einsortieren würde – hängt dabei nicht nur von den Faktoren des Kontextes ab, in denen der Reiz auftritt, sondern auch von subjektiven Aspekten. Ein gleicher Reiz muss (bzw. kann sogar) nicht von allen Menschen gleich bewertet werden. So kann „feste gedrückt oder umarmt zu werden, schön sein. Und warum soll ein Pieksen immer negativ sein.“, erläuterte der Fachmann auf dem Gebiet der Wahrnehmung und Hirnphysiologie. Nur Interpretationen und persönliche Dispositionen führen das Individuum zur letzten Wertung, und wie ein Reiz wahrgenommen wird lässt sich graphisch auf einer Kurve darstellen, die einem umgedrehten „U“ gleicht. An beiden Enden des U’s können die Reize unangenehm wahrgenommen werden – weil sie entweder zu leicht sind, oder zu intensiv. Die individuelle Wohlfühlzone liegt dabei in der Mitte. Diese Kurve fällt bei jedem Mensch unterschiedlich aus, erläuterte der Gast. Allgemeingültige Schwellen, die festlegen, ab wann ein Reiz für einen Mensch unangenehm ist und wann nicht, gibt es innerhalb der menschlichen Wahrnehmungsgrenzen nicht. Allerdings können individuelle Schwellen sich durch Gewöhnung verschieben oder weiterentwickeln. So kann sich wohl fast jeder an das eigene Unverständnis erinnern, wenn er einmal als Kind oder Jugendlicher an einem Bier nippen durfte – wie man so etwas bitteres gut finden kann… als Erwachsener kann das Getränk dann durchaus schmecken. Entsprechend bei Kaffee, Tee, Oliven, Wein… Eine große Rolle spielt auch die Erwartungshaltung, führte der Psychologe dann weiter aus. Schmerzerwartung kann hierbei das Schmerzerleben verstärken, was fürsorgliche Eltern in die Zwickmühle bringen kann, ob sie ihre Kinder lieber vertrauensvoll auf eine notwendige Spritze beim Arzt vorbereiten möchten – oder sich hinterher den Vorwurf einhandeln „nichts gesagt“ zu haben. Weitere Faktoren, die die Wahrnehmung körperlicher Reize oder von Schmerzen vollends verkomplizieren, bestehen in der Tagesform, hormonellen Schwankungen oder psychischem Stress; zudem könne man auch von einer Lust des Hirns an Abwechslung und Neuem sprechen, was die Ableitung einer klaren Regel praktisch unmöglich macht. Lediglich bestätigt werden konnte durch diesen theoretischen Hintergrund nur die Beobachtung eines Teilnehmers, dass „sein Subbielein“ an manchen Tagen sehr wenig Schmerzreize möchte und verträgt, an anderen flehentlich einfordert „nicht aufzuhören“. Wieder einmal ist hier, bei der Abstimmung ob angenehm oder unangenehm, die Kommunikation zwischen den Akteuren enorm wichtig, von der kulturellen Überformung (=Veränderung des Verhaltens durch die Sozialisation) ganz zu schweigen, die auch besonders bei der Akzeptanz der eigenen Neigungen eine große Rolle spielt. Ist die gewählte Praktik kulturell anerkannt, ist dies kein Problem. Handelt es sich um ein eher tabuisiertes Thema, wie z.B. SM, besteht die Gefahr, dass die Bedürfnisse (die man früher als „Triebe“ bezeichnete) sich anderweitig auch in destruktiver Form Bahn brechen. Schlüssig, dass religiöse Kreise, in denen Sexualität durch Vorgaben an sich tabuisiert zu werden droht, gegebenenfalls ein gehäufteres Auftreten von Missbräuchen zeigen können. Die Gefahr dazu bestehe nicht speziell aus der Vermeidung von Sexualität, sondern aus deren Unterdrückung – wenn darüber z.B. schon gar nicht gesprochen und diese so gar nicht in andere Ausdrucksformen des Menschseins umgeformt werden kann (was ja durchaus auch bei zölibatär lebenden Menschen möglich ist). Ein Einwurf kam an dieser Stelle auch von einem Anwesenden, dass die vorherrschende „Kultur“ auch innerhalb der Subkultur eine große Rolle spielt, die zu einer Überformung führen kann, in dem z.B. Vorlieben zum Selbstläufer werden können – und durch die Kommunikation innerhalb der Gesprächskreise oder Online-Communities Bilder entstehen, wie Sub oder Dom sich zu verhalten hat, was richtiger oder falscher SM ist, sodass einzelne davon abgelenkt werden, ihren eigenen, wirklichen Bedürfnissen nachzuspüren. Letztlich könne auf dem Hintergrund des gehörten die Lust an SM – an bestimmten Reizen usw… - sich genauso verlieren oder „herauswachsen“ wie sie entstanden ist: zufällig, auf dem Hintergrund von Dispositionen, durch Erfahrungen im Umfeld (und sei dies nur die Erkenntnis: „das macht mir ja Spaß!“ bzw. „anderes ist mir ja wichtiger!“). Wichtig ist es hier, für jedem SMer selbst „wach“ zu bleiben, sich selbst zu beobachten, ob das, was er macht oder machen will, wirklich seine Vorliebe ist, oder ein Bild, das aus Gewohnheit weiterverfolgt wird, kam nach der Bestätigung durch den Psychologen die Warnung von Seiten des SMer an die eigene Adresse der Anwesenden. Wiederholt kam der Vergleich für die Wahrnehmung von Reizen, zu Musik oder Essen auf, obwohl die Geschehnisse bei der Sexualität weit komplexer und ganzheitlicher und damit komplexer und damit Variantenreicher sind. Irgendwann bildet sich eine „Vorliebe“ heraus, die einem zwar nicht verbietet, immer mal wieder die Abwechslung zu suchen, aber dazu führt, dass innerhalb eines gewissen Rahmens der ähnliche Geschmack gesucht wird. Und auch diese Schwankungsbreite ist bei allen Menschen unterschiedlich: die einen sind eher „reizoffener“, andere vermeiden die Abwechslung eher (und fahren z.B. jahrelang im Urlaub an den gleichen Ort oder bestellen sich immer die gleiche Pizza Schinken-Pilze). Verfehlt wäre es hier, dies zu pathologisieren – oder die entsprechenden Menschen als feige Spießer zu beschimpfen. Kinder, z.B. brauchen sogar eine gewisse Sicherheit in der Gewohnheit, um sich auf andere Reize einstellen zu können. Sind diese dann verinnerlicht, kann auch mit dem bisher Gewohnten flexibler umgegangen werden. Dass Charaktereigenschaften nicht durchgängig vorhanden sind (jemand ist immer zurückhaltend oder immer mutig) bestritt der Psychologe dann auch, was für die SMer interessant sein könnte, die sich einen ständig dominanten oder devoten Partner wünschen. Sie sind eher Situationsabhängig – bis hin zu den angeblich angeborenen männlichen / weiblichen Eigenschaften, was jeder Vater aus dem Umgang mit seinen Kindern weiß, wenn er fürsorgliche, zärtliche Gefühle oder Bedürfnisse zum Ausdruck bringt. Die Frage kam dann aus dem Plenum, wie ein Mensch zu seinen Neigungen findet, wie es sich entscheidet welcher „Trigger“ oder Fetisch ihn antreibt. Auch hier hielt sich der fachkundige Gast mit einer klaren Antwort zurück, denn einerseits gäbe es zwar eine Disposition, jedoch keinen platten Erbfaktor, wie z.B. ein „SM-Gen“. Die Sozialisation sei auch hier mit entscheidend. Wäre Mozart auf dem Land aufgewachsen und hätte niemals ein Piano oder Cembalo gesehen, hätte sein Vater so Musikalisch sein können, wie er wollte. Niemand würde seinen Namen heute kennen. Und dennoch: wo nichts ist, kann sich auch nichts entwickeln. Mit einem Hinweis aus der Neurophysiologie und Erfahrungen mit Autisten, die er aus seinem Berufsfeld kannte, wurde die Lernweise des Gehirns erläutert, sowie die Erklärung, was Synästhesien (die Verbindung an sich unterschiedlicher Reize) gegeben. So können manche Menschen töne auch sehen, oder zumindest Farben zu ordnen, selbst sprachlich benutzen wir noch Wendungen, wie z.B. „düstere Musik“, die daran erinnern, dass diese Fähigkeit potentiell – direkt nach der Geburt – uns allen eigen ist und nur später, durch einen Prozess des Strukturierens durch Aussortierens im Hirn wieder verlernt wird - Was uns dann jedoch hilft, das Leben und den Alltag wahrzunehmen und uns darin zurecht zu finden. Schon spät war es, als aus der Runde die Frage kam, wie sich, ggfs. die Gefahr von Machtmissbrauch unter SMern erkennen ließe und wie man sich davor schützen könne. Zudem: ob dies eine besondere Gefahr bei Männern sei. Tendenziell scheint dies vor allem, entwicklungsbedingt, tatsächlich bei Männern aufzutreten, fand unser Referent gerade auch aus aktuellen Medienberichten bestätigt. Da Schmerz ein starker, körperlicher Reiz ist, korreliert dieser auch gut mit Sexualität. Macht dagegen, lässt sich dann am ehesten gebrauchen und einsetzen, wenn man ohnehin ganz oben steht. Wenn dort „oben“ keiner mehr ist, der einen kritisieren kann, kann es gefährlich werden. Wobei oft dennoch eine Tiefe Sehnsucht nach Kommunikation und Korrektur, Geborgenheit in hilfloser Abhängigkeit gibt, was sich bestätigt, wenn man den Klischees glaubt, wenn die Domina im Studio den reichen, einflussreichen Manager verdrischt. Kurz vor der Pause, erklärte unser Gast, nach einer Rückfrage, dass es ihm nicht möglich war, näher auf einzelne Fragen, die beim letzten Termin gesammelt worden waren, einzugehen, weil diese teilweise zu intern waren, weshalb es ihm darum gegangen sei, nun eher einen grundsätzlichen Überblick zu geben, der es den einzelnen ermöglichen könne, sich selbst entsprechende Fragen zu beantworten. Was verständlich ist – denn schon diese Rückschau kann kaum die Fülle der Gesprächsinhalte und Inputs an diesem Abend wiedergeben. Nachdem er äußerst wertschätzende Worte für die Gesprächs – und Diskussionskultur auf hohem Niveau gefunden hat, konnte stand er noch im informellen Teil zur Verfügung, der sich bezüglich der Intensität des Gespräches, das sich nun etwas näher an den Fragen orientierte kaum vom Thematischen Teil unterschied. Herzlich danken für Hrn. Kief für diesen Besuch und freuen uns, bei gegebenem Anlass, erneut auf den Psychologen zukommen zu können.

Veranstaltungsdaten:

Datum: 27.05.2011
Uhrzeit 20:00 Uhr
Ort:
Anfahrt:

Anfahrt über B 14/B29:
Ausfahrt Fellbach-Süd, dann Richtung Kernen-Rommelshausen, nach der Ortseinfahrt (Kernen-Rommelshausen) im ersten Kreisverkehr rechts in die Waiblinger Straße einbiegen, diese macht dann einen Linkskurve, danach in die Hauptstraße rechts einbiegen (unmittelbar nach der Bäckerei), der Straße folgen, das Gasthaus befindet sich an der linken Straßenseite

Anfahrt mit öffentlichen Verkehrmittel siehe Homepage der VVS

Kontakt: info@SundMehr.de