SM-Literatur außerhalb der Szene?


Neben Bildern regen wohl Worte unser Kopfkino am stärksten an. Phantasievolle Geschichten über die "schönste Nebensache der Welt", über sadomasochistische Beziehungen, Sessionbeschreibungen, Erzählungen über Dominas und Sklaven, über Lust und Schmerz reizen dazu, in die Geschichten einzutauchen und wecken Sehnsucht sie nachzuerleben.
Manch eine/r mag auch durch die Lektüre von SM-Literatur zu der Erkenntnis gelangt sein, dass "die dunkle Lust" auch in ihm oder ihr schlummert.
Mittlerweile gibt es neben den Klassikern "Die Geschichte der O", "Sweet Gwendoline", "Venus im Pelz", den Büchern von Marquis de Sade oder auch dem SM-Handbuch von Matthias Grimme sehr viele neue Geschichten, Bücher, Erzählungen. Und darauf sind wir neugierig!
Welche - neueren! - Bücher habt ihr gelesen und für gut befunden? Welche Geschichten möchtet ihr uns anderen vorstellen und uns davon erzählen, was euch daran gereizt und gefallen hat?
Wir stellen uns das so vor, dass jede/r, der/die möchte ein Buch mitbringt, kurz! (je nach Teilnehmerzahl 2-4 Min.) erzählt, worum es geht und warum das Buch unbedingt zu lesen ist. Dazu ist keine eigene Inhaltsangabe nötig - es reicht auch, den Klappentext vorzulesen und zu sagen, was an dem Buch so toll war.
Schön wäre, wenn wir danach noch ins Gespräch kämen, was Geschichten, was Worte so mit uns machen, wie sie die Phantasie anregen. Im Idealfall, so wünschen wir uns, geht jede/r mit einem Päckchen Anregungen für lange Winterabende wieder nach Hause.

Rückschau

Das Buch ist die Axt für das gefrorene Meer in uns. (Franz Kafka)

Wenn im Herbst der erste kühle Wind die Blätter von den Bäumen weht und durch Rommelshausens Straßen treibt, dann streicht er auch neugierig durch manches Bücherregal, - in der Hoffnung das ein oder andere sehr spezielle Buch aufzublättern, soweit es fesselnde oder andere nachhaltige Wirkungen beim geneigten Leser hervorzurufen vermochte.
So geschehen Ende Oktober daselbst - aufgelesen und zusammengetrieben hatte der leise Herbstwind zwölf Personen, die wie immer dem gewohnt gut bürgerlichen Nebenzimmerambiente trotzten und beim Gesprächskreis SundMehr Bücher, Geschichten und Erinnerungen der besonderen Art auf den Tisch legten. Denn es ging darum zu berichten, welches Buch, neben den altbekannten Klassikern von de Sade bis O, aktuell der Phantasie der Teilnehmenden neuen Auftrieb verschafft.

Den Anfang machte ein ca. 190 Seiten starkes Taschenbuch mit dem etwas sperrigen Titel: "Roman einer Erfüllung unter einer geliebten Frau." Der Roman, eher einem Märchen nahe stehend, erzählt in einer etwas aristokratisch stilgeprägten Sprache von dem Baron Hochstedt, der eine Gräfin liebt, heiratet und sich schließlich rundum versklaven lässt. Literarisch kein pornographischer Wirbelsturm, sondern erotisch mitreißend und fürs Kopfkino ein lesenswerter Aufwind.

SM und Thriller, leiden-schaffende Lust und nackte Gewalt? Verträgt sich das? Durchaus, meinte eine weitere Teilnehmerin und stellte den Thriller "Schatten" des Autors mit dem Pseudonym Andras vor. Die Handlung spielt in der Wiener SM-Szene, dort geschehen grausame Ritualmorde, die der Protagonist, ein ehemaliger Polizist und nun Besitzer eines SM-Clubs, mit aufklären soll. Schnell stellt sich heraus, dass der Täter die Opfer in dem besagten SM-Club zu finden scheint. Zudem werden Videos mit Sessions der Freundin des Protagonisten vom Täter nachgestellt. Wodurch der Ex-Polizist immer mehr selbst ins Visier der Ermittler gerät.

Der Roman "Mauern" von Hubert Selby ist definitiv kein SM-Roman. Reale Gewalt, Menschenverachtung, Unterdrückung und soziale Trümmerlandschaften prägen den Roman des Amerikaners Selby. Ein mutmaßlich Unschuldiger wird verhaftet und durchlebt in der einsamen Gefängniszelle in einer Art Kopforgie die eigenen Rachegelüste, durchdrungen von Kindheitserinnerungen und Verzweiflung. Das Buch führt den Leser an die menschlichen Abgründe und gerade dann, wenn man SM für sich selbst in völlig anderen Zusammenhängen verortet wissen will, ist es herausfordernd, sich diesen Abgründen zu nähern, - um letztlich zu wissen, wo man selbst steht.

Dass man Phantasien auch bis ins Extreme dehnen kann wissen wohl am ehesten die Gummi und Latexliebhaber. Genau in diesem Grenzbereich ist das Buch "Permanente Transformation" angesiedelt, den "Kindern" unter den Möchte-Gern-Extremen würde wohl geraten: Bitte nicht zu Hause nachmachen! Wer aber mit seiner Phantasie gerne drastische Höhenflüge genießt, ist über solch banale Hinweise erhaben und lässt sich umhüllen von den "Erfahrungen" eines Pärchens, das diesem Fetisch bis zur letztendlichen Fremdbestimmung erliegt. "Als reine Phantasie ein Kick und harter Tobak", meinte der vorstellende Teilnehmer, im Sinne von: Literatur darf das Extreme, das man nicht ausleben würde.
Es gibt Vermutungen, dass dieses Buch vom Verband der Optiker unterstützt wird, denn das Schriftbild wurde so klein gewählt, dass der Erwerb eines geeigneten Augenglases dem Lesegenuss vorangehen sollte.

Ohne Autor und Titel zu nennen, las ein weiterer Teilnehmer der illustren Runde eine Fesselszene vor, die nach und nach die Anwesenden schmunzeln ließ. Kein geringerer als Karl May hat in seiner Reiseerzählung "Die Felsenburg" dazu beigetragen, dass schlummernde Sehnsüchte schon in früher Jugend hoffen durften, nicht alleine auf der Welt zu sein. Auch wenn ein Großteil der Winnetou-Leserschaft die auch in anderen Bänden sehr genau beschriebenen Fesseltechniken als notwendige Fixierungsmaßnahme sahen, so bewirkten diese Sequenzen bei Anderen das Aufkeimen schlummernder Triebe, Beiläufiges wurde zur sehnsuchtsvollen Lustphantasie. Die Runde war sich einig, dass der Teilnehmer mit diesem Beitrag viel Grundlegendes ausgedrückt habe.

Auch mit Sachbuch "Unverschämt schön" wurde ein aktueller Aspekt, diesmal aus der kirchlichen Perspektive, zum Thema SM erörtert. Hier ging es weniger ums lustvolle Kopfkino, sondern um gesellschaftlich-kirchliche Reglements, die speziell die Christen unter den SMern herausfordern. Die Texte waren ursprünglich als Orientierungshilfe von der EKD (Evangelischen Kirche Deutschlands) in Auftrag gegeben worden. Da man aber mit einigen verfassten Passagen des beauftragten Autorenteams nicht einig war, distanzierte sich die EKD. Die Autoren und Autorinnen ließen es sich daraufhin dennoch nicht nehmen, die Texte zu veröffentlichen. Hervorzuheben ist die differenzierte Betrachtung unterschiedlicher Themen, so dass dem einvernehmlichen SM keine Absage erteilt wird, der sexualisierten, übergriffigen Gewalt aber sehr wohl.

Abschließend führte eine Teilnehmerin die Anwesenden zurück in die Märchenwelt und erinnerte an die alten "unschuldigen" Märchen, den bösen Wolf, der mit seinen Blicken das Mädchen mit dem roten Käppchen zu fesseln vermochte. Es lassen sich manche Chiffren entdecken, die in den vorausgegangenen Jahrhunderten in anderer Form genau das zum Ausdruck bringen wollten, was wir alle mehr oder weniger in uns tragen. So bedarf es immer mal wieder eines mehr oder weniger kräftigen Windes um Altes neu zu entdecken oder auch Platz zu schaffen für neue Anregungen.

Liste der vorgestellten Literatur:


Roman einer Erfüllung unter der geliebten Frau, Band 1, Egmont von Hochstedt, Kelm-Verlag, erhältlich auch über die "Schlagzeilen".

Schatten - Andras, Heyne Taschebuch, 2008. Derzeit nur als E-Book (Kindle-Version) erhältlich.

Mauern - von Hubert Selby, Rowohlt 1972 (vergriffen), antiquarisch erhältlich.

Permanente Transformation - Wiliam Prides, Books on Demand 2009, erhältlich auch als Kindle-Edition.

Die Felsenburg. Satan und Schariot - Karl May, Gesammelte Werke Band 20.

111 Gründe SM zu lieben - Cornelia Jönsson, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2012.

Unverschämt schön: Sexualethik - evangelische und lebensnah - Peter Dabrock u.a., Gütersloher Verlagshaus 2015.

Rotkäppchen und der böse Wolf - Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm.

Veranstaltungsdaten:

Datum: 30.10.2015
Uhrzeit 20:00 Uhr
Ort:
Anfahrt:

Anfahrt über B 14/B29:
Ausfahrt Fellbach-Süd, dann Richtung Kernen-Rommelshausen, nach der Ortseinfahrt (Kernen-Rommelshausen) im ersten Kreisverkehr rechts in die Waiblinger Straße einbiegen, diese macht dann einen Linkskurve, danach in die Hauptstraße rechts einbiegen (unmittelbar nach der Bäckerei), der Straße folgen, das Gasthaus befindet sich an der linken Straßenseite

Anfahrt mit öffentlichen Verkehrmittel siehe Homepage der VVS

Kontakt: info@SundMehr.de