Wie finde ich einen vorurteilsfreien Therapeuten?

Was Aufmerksamkeit erregt, verlangt nach Begründung. Und die Paradoxie, auf einvernehmlicher Basis, das was man im Alltag gerne meidet, sei es Schmerz, Ohnmacht oder Entwürdigung, verbunden mit erotischer Lust zuzufügen oder erleben zu wollen, weckt nicht nur bei Menschen, die dies nicht als eigene Vorliebe kennen, den Wunsch nach Erklärung. Auch die Tatsache, dass Achterbahnfahren oder Extremsport nicht psychologisch hinterfragt wird, hindert viele nicht daran, dies bei Sadomasochismus doch zu tun.
Daraus kann sich das Bedürfnis ergeben, mit einem Therapeuten zu erörtern, ob beim erotischen Tun psychologische Themen unbewusst bearbeitet werden - und sicher gibt es Leute, bei denen diese Frage genauso angebracht ist, wie bei der Suche nach anderen Genüssen.
Auch, wenn das Thema bereits am 26. Mai 2005 im Gesprächskreis mit einer Psychotherapeutin besprochen wurde, stellt sich hier die Frage, wie ein vorurteilsfreier Therapeuten gefunden werden kann - hat die Weltgesundheitsorganisation doch erst im Juni 2018 Sadomasochismus aus der internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD) gestrichen.

Wer vor allem etwas essen will, sollte nach Möglichkeit eine Stunde früher erscheinen, damit gehäufte Bestellungen den Gesprächsverlauf nicht zu sehr beeinträchtigen.

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Rückschau

Mehr als ein halbes Dutzend Teilnehmerinnen und Teilnehmer trafen sich am 27. Oktober im Gesprächskreis SundMehr, um sich darüber auszutauschen, wie man vorurteilsfreie Therapeuten findet.
Die Einstiegsrunde wurde mit der Frage verknüpft, ob die Anwesenden selbst Vorurteile hätten und was sie darunter verstünden. Gleich der erste Teilnehmer sah den Sinn dieser Frage nicht ein, fand sie Unfug, denn schließlich habe jeder Vorurteile, die er einmal im Laufe seiner Sozialisation erlernt habe. Man bilde sich eben ein Vorurteil, bevor man eine Situation vollständig erfasst habe und müsse sich dann überlegen, wie man mit dieser Situation umginge.
Abgesehen von der Zurückweisung der Frage, schloss sich die nächste Teilnehmerin an, in dem sie unter einem Vorurteil eine vorgefasste Meinung verstand, die sich aus einer zurückliegenden Erfahrung gebildet habe. Ihr Partner schloss sich dahingehend an, dass er sich eingestand, Vorurteile zu haben, obwohl er versuche keine zu haben. Er vermutete im Vorurteil auch eine gewisse Schutzfunktion und dass Viele sich sicher eine blutige Nase geholt hätten, beim Versuch, ohne Vorurteile zu leben.
Ähnlich äußerte sich die Nächste in der Runde, die versuchte, ihre Vorurteile zu überprüfen, wenn sie sich Menschen nähert.
Ein Beispiel aus seiner Biographie konnte ein Anwesender beisteuern, der bei der Namensgebung seiner Kinder überlegt hatte, welcher Namen keine Vorurteile bei Gegenübern auslösen. Er arbeite hart daran, keine Vorurteile zu haben und wollte für sich den Begriff abmildern als "Vorannahmen", die stimmen könnten oder auch nicht. Dennoch würde manches Vorurteil zutreffen, wie das, dass es für eine Person of Color bei einem zufälligen Zusammentreffen mit Mitgliedern des Ku-Klux-Klans nicht angeraten sei, Witze darüber zu machen.
Die nächste Anwesende fand, dass Vorurteile eben auch nützlich seien, um Situationen schnell einschätzen zu können und so kognitive Kapazität zu sparen, beim Einsortieren von neuen Situationen. Spannend fand sie es als Führungskraft, wenn sie bei Vorstellungsgesprächen bereits ein Bauchgefühlt habe, was bei einer Mitarbeiterin später das Thema sein könnte - und sich dieses dann auch bestätigte. Grundsätzlich versuchte sie aber, wenn Vorurteile im Raum stünden, die gegensätzliche Position einzunehmen.
Abschließend gab ein Anwesender zu, den Anspruch an sich selbst zu haben, vorurteilsfrei mit Leuten umzugehen, dennoch immer wieder welche zu besitzen: gegenüber Leuten, die in der Finanzbranche arbeiteten, gegenüber Christen oder IT-Mitarbeitern - er arbeite aktuell in einer Verwaltung und habe auch gegen Verwaltungsmitarbeiter Vorurteile. Als ehrenamtlicher engagierte Person habe er bezüglich einer Randgruppe lange gegen Vorurteile angekämpft und formuliert, dass diese nicht zutreffen. Seit er professionell mit derselben Randgruppe arbeitet, stellte er jedoch fest, dass viele der Vorurteile sich eben doch bewahrheiteten. Und da er dabei nun selbst in der Verwaltung arbeitete, wüsste er auch, dass viele Vorurteile gegenüber der Verwaltung zutreffen. Wichtig sei ihm dabei, sich diese einzugestehen und dennoch offen zu bleiben, für die Menschen, die eben die entsprechenden Vorurteile nicht bestätigen.
Zum Einstieg wurden dann Erfahrungen aus einer Gruppenpädagogischen / -Therapeutischen Weiterbildung berichtet, die Konzeptionell für sich konzeptionell Tabufreiheit in Anspruch nahm. Als der betreffende dort vor 20 Jahren bei der Auftaktveranstaltung "Themen meiner Biographie" auch seine guten SM-Coming-Out Erfahrungen berichtete, hatte dies für eine Störung des Gruppenprozesses gesorgt, die - entgegen der methodischen Grundannahmen - bis zum Ende trotz mehrmaliger Bitte an die Seminarleitung, nicht bearbeitet werden konnte und sich über mehrere Seminarwochenenden Vorrang genommen hatte.
Eine sehr enttäuschende Erfahrung berichtete eine Anwesende von einer eigenen Therapie-Erfahrung: Als sie dort BDSM erwähnte, fragte die Therapeutin harsch, was dies denn sei, konkretisierte später ihre Frage: was dies für sie persönlich denn bedeute. Als sie erwähnte, dass sie dies mit ihrem Mann praktiziere, wurde dies mit der Äußerung "dann ist das ja nicht so schlimm..." kommentiert, was ein gewisses Klischee- und Schubladendenken enttarnte.
Von unproblematischen Erfahrungen berichtete dagegen ein anderer Anwesender, der im Rahmen einer Reha bei einer sehr jungen Therapeutin BDSM erwähnte und keine spektakuläre Reaktion weckte. Auch im Rahmen der Nachsorgegruppe schockierte die Erwähnung von SM die Teilnehmer nicht.
Dass vielleicht die Ausrichtung der Therapie eine Rolle spielte, warf dann eine Anwesende ein und vergewisserte sich, welche Ausrichtung die Therapie, bei der zuerst genannten, negativen Erfahrung hatte. Da es sich um eine Tiefenpsychologisch ausgerichtete Therapie handelte, vermutete sie, dass hierbei näher auf die Verknüpfung von Persönlichkeitsanteilen mit dem problematisierten Thema im Focus stünden und das Interesse der Therapeuten weckten. Eine Anwesende bedauerte sehr, dass sie dringend jemand bräuchte, um über die schmerzhafte Beendigung einer Spielbeziehung zu sprechen. Ihre Frage war, wie sie nach einem Therapeuten suchen könnte, woran sie erkenne, dass er mit BDSM klarkäme.
Bislang noch keine Erwähnung gefunden, hatte das Thema BDSM bei der tiefenpsychologischen Therapie einer anderen Teilnehmerin; sehr wohl aber der Male-to-Female-Transitionsprozess ihrer Tochter. Sie habe selbst ein schlechtes Gewissen, warum sie das Thema nicht angesprochen habe, gehe aber davon aus, dass dies gelingen könnte, weil ja auch das erste Thema ihre Therapeutin nicht schockiert habe. Aufgrund der Ausrichtung der Therapie, sei sie gerade inhaltlich weit in ihrer Vergangenheit und habe Probleme in der Partnerschaft, bzgl. BDSM, noch nicht erwähnt.
Es sei nicht leicht, einen Therapeuten zu finden - darum trauten sich Leute vermutlich nicht, ihre 5 probatorischen Sitzungen zu nutzen, um dort BDSM zum Thema und die Reaktion des Therapeuten darauf zum Kriterium zu machen, ob es für sie dort stimmig ist, oder nicht.
Dies fand ein Anwesender bedauerlich und schwierig. Schließlich ginge es hier nicht um einen Gang zu "Tengelmann" oder "Rewe", sondern darum, einen professionell kundigen Menschen zu finden, mit dem man über tiefgreifende Themen seines Lebens spricht und möglichst offen sein können sollte.
Die Teilnehmerin mit der zuerst erwähnten, enttäuschenden Erfahrung, konnte jedoch auch berichten, dass ihr zuvor die Aufarbeitung einer sehr schlimmen BDSM-Erfahrung bei dieser Therapeutin gelang, auch ohne das Thema explizit zu benennen.
Von sehr gemischten Erfahrungen mit Beratern und Therapeuten berichtete ein Anwesender dann - die jedoch nie spektakulär frustrierend waren - enttäuschend allerdings die Erfahrung von deren Unkenntnis. Die meisten Therapeuten oder Berater konnten wenig damit anfangen - mit Ausnahme einer Dozentin, die ihm vor 30 Jahren, während seines Studiums angeboten hatte, außerhalb eines therapeutischen Settings mit ihm über seine Unsicherheit und mangelnde Selbstakzeptanz bezüglich seiner Vorlieben zu sprechen - was für ihn nach dem 5. eben doch mit therapeutischer Kompetenz und fachlicher Autorität geführten Gespräch zum Durchbruch geführt hatte, sodass er plötzlich seine Neigungen voll und ganz akzeptieren konnte und sich wie neu geboren gefühlt hatte. Auffallend war dabei, dass er sehr wohl Details seines Kopfkinos geschildert hatte und an der Reaktion der familientherapeutisch ausgebildeten Dozentin zu erkennen war, dass sie diese grundsätzlich persönlich heftig fand. Dies hatte sie aber nicht davon abgehalten, ihm zur Selbstakzeptanz zu verhelfen. Zuvor hatte er gar keine Ahnung, dass es diese Option, sich selbst mit BDSM-Neigung zu akzeptieren, überhaupt gäbe, fühlte sich der Menschheit entfremdet und möglicherweise psychisch krank, was Zerrbilder von Psychiatrien wachrief, bei denen er sich unter Medikamenteneinfluss, über Gänge schleichende Patienten vorstellte, die gänzlich ihres Selbst beraubt, auf unbestimmte Zeit dort ihr Dasein fristeten...
Auch die Teilnehmerin, die in ihrer Therapie bislang BDSM noch nicht erwähnt hat, hatte bei einem, bezüglich BDSM und Queerness offenbar gänzlich uninformierten Therapeuten (der auf seiner Homepage dennoch mit der Behandlung von Störungen der Sexualität geworben hatte), mit seiner Hilfe herausarbeiten können, zu beachten, was sie auch für sich, oder nur für ihren Partner bei einer BDSM-Session mache. Mit Überraschung auf seine mangelnde Kenntnis bzgl. des Begriffes "Queer" angesprochen, hatte er argumentiert, er müsse sich damit auch nicht auskennen, weil es ja um das Menschsein an sich ginge.
Die Frage, wie explizit BDSM erwähnt werden müsse, führte zu einer kurzen Diskussion über Coming-Out. Eine Anwesende meinte, dass es für sie einen großen Unterschied mache, ob sie mit guten Freunden oder Bekannten über sich spreche und dabei der Aspekt BDSM auftauche. Käme hier ein falscher Spruch, könne sie selbst Antwort darauf geben. Aber beim Therapeuten sei dies schwieriger, da man hier Professionalität erwarte und eine fachliche Autorität voraussetze.
An dieser Stelle wurden die Anwesenden gefragt, was sie von einem kompetenten Therapeuten erwarteten: Als erstes Statement wurde hier die Erwartung formuliert, dass der Therapeut sich bezüglich BDSM informiert hat. Hier scheint es ein großes Stadt-Land-Gefälle zu geben. Allerdings wurde auch in allgemeiner Hinsicht die Erwartung formuliert, dass ein Therapeut, sofern er weder Vorurteil noch Ahnung von irgendeinem Thema hat, sich diese erarbeitet. Auch Hilfsangebote, innerhalb der BDSM-Szene kamen zur Sprache, wie zum Beispiel Kink Aware Professionals (KAP) oder Notfall-Telefone wie MaydaySM, wie auch das der SMJG für jüngere BDSMler.
Dass es im allgemeinen beraterischen oder therapeutischen Bereich Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Kollegen hinsichtlich deren Aufgeklärtheit gibt, berichtete ein Teilnehmer, der selbst beruflich im Beratungskontext tätig ist. Die Meinungen, ob man im Bedarfsfall primär mit jemandem aus der BDSM-Szene sprechen sollte, gingen hierbei auseinander. Ein Therapeut, mit dem man ein Thema bearbeiten will, sollte darin zwar kompetent sein, benötigt selbst aber keine eigenen Erfahrungen (nicht jeder Sucht-Therapeut muss selbst süchtig gewesen sein). Dagegen sollte er keine Vorurteile haben und wissen, welche Fragen er stellen sollte, um zum Punkt zu kommen, der das wirkliche Problem darstellt (was primär nicht SM an sich ist).
Dies gilt natürlich auch gegenüber Experten aus der BDSM-Szene: Die positive Einstellung gegenüber BDSM kann möglicherweise dazu führen, dass behandlungsbedürftige Aspekte übersehen werden. Und ganz schlimm kann dies bei selbsternannten Experten sein, wie sich am Beispiel eines Übergriffs herausstellte, bei dem eine Domina kommentierte, der "Herr" habe das "Recht" dazu gehabt... Ein Mensch, der bezüglich der Akzeptanz seiner eigenen Vorlieben verunsichert ist, möchte nicht unbedingt von einem hinsichtlich BDSM positiv voreingenommenen Menschen beraten werden, sondern eine objektive Richtschnur, für die Integration seiner Vorlieben finden, die in einer grundsätzlichen Weise auch für alle Menschen gilt - unabhängig deren Neigung. Tendenziell kann es also eine Beeinflussung durch Vorurteile in beide Richtungen geben - eine absolut objektive Therapie oder Beratung gibt es nicht. Es wurde auf die Eingangsstatements verwiesen, denn wenn kein Mensch ohne Vorurteile lebt, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein Therapeut keine Vorurteile hat [nachträgliche Anmerkung: Überraschend, wenn sich Vorurteile bei einem Therapeuten nicht auf selbst gemachte Erfahrungen beziehen, weil er bzgl. BDSM keine hatte!]. Er sollte allerdings so flexibel sein, verschiedene Perspektiven einzunehmen und sich von seinen Vorurteilen nicht leiten lassen.
Im Zuge der Abschlussrunde äußerte ein Teilnehmer den Wunsch, dass die an diesem Abend gemachten Erfahrungen multipliziert würden und Eingang in die Ausbildung von Therapeuten finden würden.

Veranstaltungsdaten:

Datum: 27.10.2023
Uhrzeit 20:00 Uhr
Ort:
Anfahrt:

Anfahrt über B 14/B29:
Ausfahrt Fellbach-Süd, dann Richtung Kernen-Rommelshausen, nach der Ortseinfahrt (Kernen-Rommelshausen) im ersten Kreisverkehr rechts in die Waiblinger Straße einbiegen, diese macht dann einen Linkskurve, danach in die Hauptstraße rechts einbiegen (unmittelbar nach der Bäckerei), der Straße folgen, bis zum nächsten Kreisverkehr. In diesem rechts (erste Ausfahrt) Richtung "Alte Kelter, Sportanlagen, Kleingartenanlagen" in die Kelterstraße. Dieser ca. 650 m folgen, bis zum Sportplatz.

Anfahrt mit öffentlichen Verkehrmittel siehe Homepage der VVS

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