Gespräch mit einem Psychologen: "Wir reden oft von Traumata... "

Vor zwei Jahren hörten wir von Dipl.Psych. Michael Kief aus Winterbach, dass der einfache Schluss von Kindheitstrauma zum Ausbilden einer SM-Neigung so nicht zutreffend ist. Die Frage, ob Anlage oder Umwelt für die Ausbildung einer Eigenschaft verantwortlich ist, ist ebenso schlüssig, wie die, ob eher Länge oder Breite eines Rechtecks für die Fläche ausschlaggebend ist, hieß es. Und ob der Umweltfaktor "Verletzung" oder "Begünstigung" heißt ist die nächste, kaum so leicht zu lösende Frage. Und trotzdem gruselt es einige, wenn sie sich an ihre eigene Kindheit erinnern und ihre heutigen Neigungen betrachten. War da nicht was? könnte es nicht doch sein? Von was reden wir eigentlich, wenn wir von Kindheitstraumen sprechen? Wie wirken sich posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD) aus? Was könnte bei SM zutreffend sein, woran erkennen wir, was nicht zutreffend ist. Zum zweiten Mal zu Gast, ist oben erwähnter Psychologe, der sich auf dem Gebiet der PTSD schlau gemacht hat und - als nicht SMler - uns an seinem Wissen teilhaben lässt. Als Fragen wurde von den Teilnehmern im Vorfeld gesammelt: - Was ist ein "Trauma"? Wie kommt es zustande, wie wirkt es sich aus? - Bei SM (Bedürnfis nach Schmerz, Unterwerfung usw... zufügen, bzw. zufügen lassen): Wie kann unterschieden werden, ob bei einer Reaktion des Gegenübers (Wegtreten aus erotischer Extase oder als Dissoziation?) ein Trauma aufbricht oder ob es sich um lustvolle Sexualität handelt? - wie ist zu reagieren, wenn es sich mit ziemlicher Sicherheit um ein Trauma handelt? - Kann das aufbrechen / reaktualisieren eines Traumas nicht auch lustvoll erlebt werden? - kann / muss ich ein Trauma bewältigen (ungeschehen machen) oder kann es auch durch (bzw. in) Sexualität integriert werden? - Ist integrierende Bewältigung besser als Kompensation und Sublimierung (bzw. schließt sich das aus?) - Warum "müssen" Traumata bewältigt bzw. behandelt werden? [Anm: das führt schon in Richtung des August-Themas, wo dann dazu kommt: Ab wann muss / sollte ich einen Therapeuten aufsuchen?]

Rückschau

Etwa 14 SadomasochistInnen aus dem Großraum Stuttgart trafen sich am 24.06.05 im TV-Heim in Kernen-Stetten, um sich auf dem Hintergrund von SM über die Funktionsweise und Folgen von Traumatisierungen aufklären zu lassen. Michael Kief, Dipl. Psychologe aus Winterbach, war zum zweiten Mal der Einladung gefolgt und führte kompetent in die Reaktionen ein, die Menschen durch eine Traumatisierung zeigen können. Das Einstiegsreferat, in dem dargelegt wurde, was hierbei passiert war äußerst inhaltsreich; geballtes Fachwissen prasselte auf die TeilnehmerInnen ein: Bei existenziell lebensbedrohlichen Situationen, kann bei Menschen ein ähnlicher Mechanismus greifen, wie im Tierreich: Wird z.B. eine Gazelle in der Steppe von einem Löwen gejagt und eingeholt, hat sie noch zwei Möglichkeiten: sie kämpft (was gegen einen Löwen aussichtslos sein dürfte) oder sie verfällt in den Tot-Stellreflex: Alle Bewegungen und das Gespür wird förmlich eingefroren. Entweder wird sie nun doch verspeist, oder hat Glück und der Löwe lässt von ihr ab. Anschließend kann sie den Adrenalinstau loswerden, in dem sie sich schüttelt, und weiter zieht. Die Fähigkeit zur Erinnerung und zu Bewusstsein, wird dem Menschen hier zum Problem. Bei einer so genannten Postraumatischen Belastungsstörung (PTSD) kann es dazu kommen, dass das traumatisierende Ereignis wiederholt gedanklich durchlebt wird, was weiter zu einem Verlust von lebenspraktischen Fähigkeiten führen kann - denn z.B. auch die Schutzreaktionen (Abspaltung von Gefühlsinhalten, Heraustreten aus dem Körper usw...) können dadurch erneut wachgerufen werden. Besonders tragisch ist für die Betroffenen oft, dass diese Situationen zwar traumartig durchlebt, aber kaum in Worte gefasst werden können. Mit Hilfe bildgebender Untersuchungsverfahren kann tatsächlich nachgewiesen werden, dass die für das Sprechen zuständige Hirnregion massiv, gerade durch Traumata, geschädigt werden kann. Andere Symptome können eine starke emotionale Besetzung von Gegenständen sein, denen sonst "neutral" begegnet wurde. Eine sinnvolle Reaktion kann daher einfach die Verdrängung sein, die dazu führt, dass der Mensch wenigstens im Alltag noch funktionieren kann. Traumatherapien haben daher auch oft einfach eine rein funktionales Ziel: die abhanden gekommene Lebensfähigkeit wieder her zu stellen. Ungeschehen gemacht werden, können Traumata ohnehin nicht. Bezüglich SM hielt es der persönlich nicht vom Thema tangierte Referent eher unwahrscheinlich, dass bei Beziehungen, in denen schon lange SM praktiziert wird, dies eine Retraumatisierung zur Folge hat. In relativ frischen Beziehungen, oder beim Ausprobieren neuer Praktiken, kann dagegen im Einzelfall, durch wachgerufene Assoziationen eine traumatische Situation aktualisiert werden. Dringend geraten ist es, in solch einer Situation, das Geschehen abzubrechen und miteinander zu sprechen. Ein Vergleich der scheinbar paradoxen Kombinationen von Schmerz und Lust zu dissoziativem Erleben traumatisierter Personen und die oft erhobene Vermutung einer zugrundliegenden Traumatisierung, wurde erneut vom Fachmann in dieser Pauschalisierung abgelehnt. Einerseits wird unter Sadomasochisten ohnehin viel über das Geschehen reflektiert und gesprochen, was ja bei PTSD eher nicht der Fall ist und wegen der dadurch oft hergestellten Offenheit werden andererseits eben auch verletzende Erfahrungen mitgeteilt. Im Gegenteil, könnte es sogar sein, dass bei Leuten, die ihre Sexualität als gewöhnlicher erlebten, und dadurch auch ein geringeres Bedürfnis nach Auseinandersetzung mit ihren Gefühlen haben, eine Traumatisierung viel eher verdeckt bleiben. Die Reaktion auf eine Traumatisierung besteht jedoch eher in der Vermeidung. Auch wenn scheinbar widersprüchliche, negativ besetzte Gefühle wie Angst, Schmerz, Wut, Demütigung mit Lust verbunden werden, widerspricht dies bereits einer Vermeidung der unangenehmen Situation. Kritisch wird es, wenn die eigene Motivation für die Praktik nicht klar ist und tatsächlich nicht die Lust im Vordergrund steht sondern z.B. die Selbstbestrafung. Abgesehen davon, dass hier der (gebende) Part missbraucht wird, könnte hier der Gang zum Therapeuten angesagt sein. Das eigene lustvolle sexuelle Erleben ständig (auf potentielle, verdrängte Traumatisierungserfahrungen) zu hinterfragen ist dagegen unsinnig -ergänzte die ebenfalls bereits anwesende Pia Voss, die bei unserem nächsten Termin zu Gast sein wird, wenn es gerade um die Frage geht: ab wann ist Therapie angesagt?

Veranstaltungsdaten:

Datum: 24.06.2006
Uhrzeit 20:00 Uhr
Ort: TV-Heim, Am Sportplatz 4, 71394 Kernen-Stetten
Anfahrt:

Anfahrt über B 14/B29:
Erste Ausfahrt (Weinstadt/Endersbach) auf der B29 nach dem Teiler B14/B29 in Richtung Schorndorf, bzw. vorletzte vor der Zusammenführung B14/B29 in Richtung Stuttgart. Dann weiter Richtung Stetten / Esslingen halten.

Anfahrt von Esslingen:
Über Wäldenbronn Richtung Kernen-Stetten. Den Wegweisern „Diakonie Stetten“ und Sportplatz folgen. Haupteingang Diakonie und TV-Heim sind nicht weit voneinander entfernt. Parkplätze gibt es auch genug.