Diesmal ist der niedergelassene Arzt Dr. Dietmar Treiber zu Gast.
Immer wieder stellen sich SMer die Frage, inwieweit sie sich ihrem Arzt anvertrauen wollen, können oder müssen. Natürlich kann es mal passieren, dass man mit "verdächtigen" Spuren, wie Hämatomen zu Arzt kommt - wie wird mein Arzt reagieren?
Andererseits kommen immer wieder medizinische Fragen auf: Welche SMigen Praktiken sind - aus medizinischer Sicht - gefährlich?
Einige mögliche Fragen haben wir mal zusammengefasst:
* Kann ich mich meinem Arzt anvertrauen?
* Kann ich mit Hämatomen zum Arzt gehen?
* Muss ich Angst haben, dass meine sexuellen Vorlieben irgendwie "öffentlich" werden?
* Wie ist das eigentlich, mit der ärztlichen Schweigepflicht?
* Wie sieht es mit dem viel zitierten ICD-10-Schlüssel F65.5 aus?
* Bekommt meine Krankenkasse davon was mit?
* Und wenn ein "Unfall" passiert? - Wie gehe ich vor? - Was kann passieren?
* Was kann passieren, wenn ich auf die "falsche Stelle" haue?
* Worauf muss ich achten wenn, ...?
Über diese und andere Fragen wollen wir uns gemeinsam unterhalten.
Sieben Frauen und ebenso viele Männer mit sadomasochistischen Neigungen trafen sich am 22. März 2013 im Gesprächskreis SundMehr, um sich unter der Überschrift "Wie sag ich's meinem Arzt" darüber zu unterhalten, ob sie ihre Neigungen gegebenenfalls auch bei ihrem Hausarzt zur Sprache bringen. Anwesend war dazu der persönlich von Sadomasochismus untangierte, niedergelassene Hausarzt Dr. Dietmar Treiber, der im Nachbarort seit 11 Jahren eine eigene Praxis als Internist besitzt.
Schon bei der Vorstellungsrunde gab eine Teilnehmerin an, bei ihrem Frauenarzt Diskussionen um ihre Intim-Piercings leid zu sein, weil diese schon nicht mehr nur aufklärende, sondern bekehrende Züge trugen, wobei sie ihren Arzt aufgrund des Vertrauensverhältnisses und der sonstigen fachlichen Kompetenz nicht wechseln wolle. Andere gaben an, SM-Sessions - das Ausleben ihrer Sexualität - im Hinblick auf einen bevorstehenden Arztbesuch schon mal zu verschieben, damit keine Spuren, wie z.B. Striemen beim Abhören, zu Erklärungsbedarf führen.
Fragen bestanden auch für manche Besucher, was eigentlich auf dem Chip der Versichertenkarte gespeichert wird. Ein Anwesender riet gleich, notfalls zunächst im www zu recherchieren, ob sich ein mit der Thematik vertrauter Fachmann, ggfs. aus der Szene, finden ließe. Manche Teilnehmer berichteten allerdings auch davon, dass ihr Arzt mit offener Neugierde auf die Thematik reagierte, oder das überraschend große Kompetenz z.B. bei einem Handchirurgen vorhanden war, der bei einer Nachuntersuchung auf die Frage, ob nach einer Operation BDSM-Praktiken bedenklich seien, nur kurz stutzte, dann aber durchaus kompetent antwortete, welche Belastungen möglich wären und wann Bedenken angezeigt seien.
Bei der Gesprächseröffnung gab dann der Gast gleich zu, dass der Umgang mit Ärzten auch für den Patient nicht immer leicht sei. Dennoch unterlägen Ärzte auf jeden Fall einer Schweigepflicht, gegenüber der Außenwelt. Jedoch gäbe es natürlich eine Meldepflicht gegenüber den Krankenkassen, für die die Diagnoseschlüssel des immer wieder überarbeiteten ICD benutzt werden. Sie dienten nicht nur der Abrechnung, sondern auch der statistischen Übersicht, welche Krankheiten bei welcher Bevölkerungsgruppe vorkommt. Dabei gäbe es die eher psychiatrischen "F" - Diagnosen, unter die auch der von SMern oft beklagte Schlüssel F 65 ("Störungen der Sexualpräferenz" - F65.5 "Sadomasochismus" http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/kodesuche/onlinefassungen/htmlgm2013/block-f60-f69.htm ) einsortiert sind. Als Hausarzt habe er auch selbst erst nach der Einladung zu diesem Abend durch einen der Organisatoren von der Existenz dieses Schlüssels erfahren und schätzt dass "zu 99%" seine Kollegen von diesem Schlüssel ebenfalls nichts wissen, weil dieser vor allem eher von Psychiatern oder Therapeuten benutzt wird.
Zudem gäbe es im ICD eine Unmenge, teils auch sinnloser Diagnoseschlüsse, wie den vor Jahren noch vorhandenen Schlüssel für "Raumfahrtunfälle" [im ICD 9: "Verkehrsunfälle in der Luft- und Raumschiffahrt" Anm. J.W.] Krankenkassen hätten dabei keinerlei Interesse, Sadomasochisten gesondert in einer Datei zu sammeln, ergänzte dann ein Anwesender, mit Berufserfahrungen bei den Sozialversicherern. Schlimmstenfalls könnte es zu Regressforderungen im Schadensfall kommen, die jedoch schon bei Risikosportarten relativ selten sind (und die Schadensfälle bei SM sicherlich im Vergleich zu Risikosportarten nochmals geringer), weshalb hier theoretisch vieles denkbar wäre, das praktisch jedoch kaum vorkommt - zumal dies ja auch einen enormen Verwaltungsaufwand auf Seiten der Krankenkasse nach sich zöge. Bislang würden auch auf der Gesundheitskarte nur Basisdaten gespeichert, auch wenn eine weitere, aus Datenschutzgründen auch aus Sicht des Arztes kritisch zu betrachtende Nutzung elektronischer Speichermöglichkeiten geplant ist. Wenn Hämatome entdeckte würden, würde natürlich vom Arzt in aller Regeln nach der Ursache gefragt. Problematisch kann es dabei natürlich werden, wenn Grund zur Besorgnis besteht, dass Häusliche Gewalt dafür in Frage kommt. Genau aus diesem Grund plädiert der Mediziner dafür, dann lieber ganz offen auf SM-Praktiken zu verweisen. Sofern diese den Grund für den Arztbesuch darstellen, wird hierfür aber in aller Regeln der Diagnoseschlüssel für Hämatome verwendet. Kein Arzt, sofern ihm überhaupt der Schlüssel für Sadomasochismus bekannt sei, könne Interesse daran haben, etwas zu diagnostizieren, was für den Patienten nachteilig sein könne.
Sofern allerdings Fragen offen blieben, wäre bei extrem starken Anhaltspunkten für häusliche Gewalt natürlich auch die Anzeige bei der Polizei möglich, im Sinne von "Verdacht auf Körperverletzung". Diese Möglichkeit scheint aber eher sehr theoretisch gegeben zu sein, denn hier müsse der Arzt Rechtsgüter (Schweigepflicht gegen die Verfolgung einer potent. Straftat) abwägen, was gegebenenfalls mit dem Juristen der Ärztekammer gemeinsam beratschlagt werden müsste. Aus den Reihen der Teilnehmer wurde gefragt, ob solche Themen denn für Ärzte auf Fortbildungen thematisiert werden, wobei sich herausstellte, dass die meisten Fortbildungen von pharmazeutischen Unternehmen angeboten werden, die jedoch vor allem eher ein Interesse haben, Themen im Umfeld ihrer Produkte anzubieten. Sadomasochismus sei da eher weniger gefragt. Ohnehin werden emotional Belastende Themen oder Supervisionen eher anderen helfenden Berufsgruppen, wie Sanitätern, Feuerwehrleuten usw. angeboten. Mediziner seien da weitgehend auf sich allein gestellt. Und selbst wenn dies angeboten werden könne, wäre ja fraglich, welche Ärzte sich auf die Thematik einlassen würden (so viele Patienten mit dem Thema werden es dann doch nicht sein). Nachdem die meisten der anfangs geäußerten Bedenken der Teilnehmer vom Arzt schnell zerstreut werden konnten, stellte sich die Frage, ob die gesamte Thematik - die Bedenken rund um F 65.5, die Angst, ob der Arzt seinen Patienten gleich in die Psychiatrie einweisen würde, wo der dann mit Elektroschocks und Psychopharmaka von seiner Perversion geheilt werden soll - nicht nur überkommen, sondern auch von manchen SM-Szenegängern auch hochgekocht werden, weil es ein gewisses avantgardistisches Gefühl mit sich bringt, zu einer grundlos verfolgten, exotischen Minderheit zu gehören.
Andererseits tangiert das Thema nun mal die persönliche Intimität und Erotik und wer wegen einer Bronchitis zum Arzt kommt, möchte dann nicht gleich seine erotischen Vorlieben auf den Tisch legen müssen. Der Gast konnte jedenfalls zusichern, dass er auch bei anderen Patienten (wie z.B. dem Alkoholiker der zum x-ten Mal seinen Entzug abgebrochen hat) stets zwischen der Person und seinem eigenen Leben trennt. "Der Patient hat zu allererst einen Hilfebedarf an mich, dem ich dann nachkomme", meinte der aufgeschlossene Doktor. Schade fände er, wenn Spuren nach einer Session einen Patienten vom Arztbesuch abhalten würde und riet als letzte Tipps noch zur Versorgung von kleineren Wunden mit Betaisodona oder anderen Desinfektionsmitteln und ganz wichtig:
zur grundsätzliche Tetanusschutzimpfung. Abschließend bleibt noch dem Gast unser herzliches Dankeschön auszusprechen für die Antworten und seine Offenheit in dieser eineinhalben Sprechstunde.
Datum: | 22.03.2013 |
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Uhrzeit | 20:00 Uhr |
Ort: | |
Anfahrt: |
Anfahrt über B 14/B29: Anfahrt mit öffentlichen Verkehrmittel siehe Homepage der VVS |
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