Zu einem Gespräch über neurophysiologische Zusammenhänge der Schmerzwahrnehmung und Spiritualität - unter Einbezug des Phänomens BDSM - anhand seines religionswissenschaftlichen Buches "Die Heilige Qual", war im April 2017 der aus dem Rems-Murr-Kreis stammende Ethnologe und Psychiater Prof. Dr. med. Dr. phil. Peter Kaiser im Gesprächskreis zu Gast. Am Ende blieb hinsichtlich Sadomasochismus die Frage offen: was kann Spaß daran machen, andere zu quälen?
Dass der Passive Lust daran finden kann, wenn Endorphine ausgeschüttet werden und das Oxytocin seine Wirkung entfaltet, ist erklärbar. Doch wie kann erklärt werden, dass der aktive Spaß an seinem Tun hat, das den passiven mit körpereigenen Drogen beglückt? Und vor allem - dass dies aus Einvernehmlichkeit und nicht Bösartigkeit geschieht, gar aus Liebe oder zumindest dem Wunsch, beim erotischen Quälen, Nähe her zu stellen, die dem anderen nicht schadet? Aus psychologischer Sicht, wurde dies bereits von Lydia Bennecke in einem Buch über Sadisten untersucht - welche Erklärungen, können wir, analog des Religionswissenschaftlichen Fachbuches von einem Psychiater erwarten?
Wer vor allem etwas essen will, sollte nach Möglichkeit eine Stunde früher erscheinen, damit gehäufte Bestellungen den Gesprächsverlauf nicht zu sehr beeinträchtigen.
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Wir trafen uns am 28.6 mit 8 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu einem - wie ich finde - sehr lebendigen, tiefgründigen und intimen Austausch mit der Leitfrage "Was macht Lust, andere zu quälen?". Unser Gast Prof. Dr. med. Dr. phil. Peter Kaiser hat mit seiner aufmerksamen Art und Weise sowie viel fundiertem Wissen keinen Vortrag gehalten, sondern das Gespräch vertieft und erweitert.
In einer ersten offenen Runde mit den Statements und Gedanken der Anwesenden kamen einige Aspekte zusammen. Eine aktive Teilnehmerin schilderte, dass es ihr tiefe Freude bereitet, wenn das Gegenüber durch ihr Tun dahinschmelze. Diese sichtbare Resonanz in unterschiedlichen Facetten sei sehr intim und bereite Lust. Die Lust sich selbst zu spüren, die Bewegung, die Lebendigkeit im Handeln als dominanter Part wurde beschrieben, in klarer Abgrenzung allerdings, dadurch grausam zu werden.
Ein weiterer Aspekt war, wie es denn so sei, den "Kitzel" auszuleben, indem man jemand schikaniert, bedrängt, abwertet und aus Lust an der Macht - gerade auch im Alltag - damit ein Stück weit quält. Die Vermutung wurde genannt, dass die Sozialisation und die Erziehung da in den meisten Fällen helfen wird, eine Grenze zu ziehen um das aktive Tun zu beenden. Jedoch - Freude hat es bereitet. Diesen Aspekt benannte in einer abgewandelten Form auch eine weitere Person. Sadistische Handlungen als Machtgefühl und Lustgewinn.
Aktiv und passiv hat eine andere Teilnehmerin schon ausgelebt und schildert, dass im aktiven Spiel eine große Faszination daran lag, das Vertrauen des Gegenübers zu erleben. Die Intimität, die dabei entsteht, wurde als große zwischenmenschliche Bereicherung geschildert. "Sadismus" wurde von einem weiteren Teilnehmer als Mittel beschrieben, der Wege eröffnet für Ziele und um große Nähe zu Erreichen. Der beschrittene Weg bedeutet große Intimität. Das dabei Grenzen berührt, überschritten und auch erweitert werden können ist gut und schön.
Eine weitere Teilnehmerin schilderte, wie beeindruckt sie davon war Macht und Kontrolle haben zu können. Es war ein Anreiz um herauszufinden, ob und was das Gegenüber zulässt. Letztendlich erkannte sie aber für sich, dass die passive Seite das ist, was sie reizt und anzieht. Vielleicht besteht die Lust am Quälen Anderer ja darin, in diesen Momenten einen sehr ehrlichen Blick auf das Gegenüber zu bekommen, ohne die Masken und Rollen des Alltags, vermutete eine weitere Teilnehmerin, die sich selbst als devot und masochistisch bezeichnete.
Die zuvor geschilderte Nähe, die für den Aktiven beim Quälen als Lust für sich entsteht, sieht ein weiterer Anwesender auf beiden Seiten. Nähe ist für ihn kein speziell nur dem aktiven Part zugeschriebener Gewinn. Für ihn sei vielmehr die große Freude, dass das Gegenüber mit gewissen Mitteln in Trance zu bringen sei. Mit dem eigenen Handeln dafür verantwortlich sein, bereitet große Lust. Deshalb hielt er die Frage für schwierig, "Was macht Lust am Quälen".
Unser Gast hat dann ganz klar und deutlich unterschieden, zwischen einer Lust am Quälen, die mit Empathie verknüpft ist und dem Sadismus im krankhaften Sinne. Der Sadist quält und genießt die Angst. Er kann dabei den Geruch von Angst des Gequälten (eher unbewusst) wahrnehmen. Es können rauschartige Zustände entstehen, die ohne Kontrolle ablaufen. Das Zufügen von Schmerzen sei dabei gar nicht einmal zwingend notwendig. Der Körper jedenfalls schüttet Dopamin aus. Dieses löst die Form von Lust und Befriedigung aus, nach der gesucht wurde. Die Freude am Schmerz hingegen ist einfacher zu erklären. Beim Schmerz wird neben Dopamin auch über die Endorphine und das Oxytocin im Körper im weitesten Sinne Lust erzeugt.
Auslöser für einen krankhaften Sadismus ist vor allem die individuelle Sozialisation aber auch genetische Aspekte, die bis dato allerdings medizinisch nicht klar identifiziert wurden. Im Rahmen der Sozialisation werden Verhaltensweisen vorgelebt (asoziales Verhalten von Vater, Mutter, engen Bezugspersonen), die dann unbewusst aufgenommen und "erlernt" werden. An anderer Stelle fehlt in der kindlichen Entwicklung möglicherweise noch ein Korrektiv, sodass Verhaltensmuster nicht unterbrochen, sondern eher vertieft werden. (zuerst wird das Haustier gequält, dann ein anderes Kind.) Selten, aber möglich, sind es ganz eigene persönliche Wesenszüge, die einen Sadisten formen auch ohne die Aspekte der Sozialisation und Genetik. Warum aber jemand letztendlich zum echten Sadisten wird (also ohne die Zustimmung des Gegenübers bzw. der gemeinsamen Metaebene handelt) ist nicht geklärt. Denn auch bei vergleichbarer Sozialisation entwickelt sich daraus nicht zwingend ein krankhafter Sadismus.
Aus historischen Gründen eilt dem BDSM der klassische krankhafte Sadist voraus. Dem kann so sein und dann ist das gar nicht gut. Es ist aber auch eine veraltete Sicht und spiegelt die heutige Realität und das Verständnis nicht wider. Dann geht es oft um Macht, Angst, Kontrolle nie aber um gegenseitige Fürsorge. Ein Sadist ist nicht emphatisch, er hat aber eine, im schlimmsten Falle sehr gut angepasste Sozialisation. Er hat eine "theory of mind" seines Gegenübers, die auf rationaler Einsicht beruht, was seinem Sadismus nutzt.
Die Lust an der Qual allerdings, die mit Empathie verknüpft ist, hat dabei das Gegenüber im Blick. Sadisten im Sinne des BDSM finden das Leiden des Gegenübers erregend, wohlwissend, dass dies auf der Metaebene gemeinsam gewollt wird und vereinbart wurde. Es bedeutet wach und klar sein mit allen Sinnen, Kontrolle haben und Verantwortung übernehmen. "Ein Dom darf sich nicht vergessen" möchte ich unseren Gast zitieren. Die Grenzen scheinen manchmal fließend, aber im Kern bleibt es beim einvernehmlichen Miteinander im BDSM.
Die Zeit schritt voran. Wir hatten intensive Gespräche in den unterschiedlichsten Facetten und auch noch am Ende des Abends gab es weitere Fragen & vertiefende Gedanken. Angeknüpft wurde immer wieder auch an die Veranstaltung vom April 2017, wo es auf dem Hintergrund des Buches "Heilige Qual und die Lust am Schmerz - Spiritualität und Sadomasochismus (Verlag Traugott Bautz; ISBN 978-3-95948-129-8) einen Abend zum Thema gab: Was macht Lust daran, gequält zu werden?.
Lust am Quälen, Lust daran gequält zu werden oder beides? Das kann jeder für sich selbst entscheiden. Den eigenen Platz im BDSM suchen und finden - zwischen aktiv und passiv oder mit beidem - reflektiert, bewusst und auch mit dem Wissen, was auf körperlicher Ebene geschieht.
Es war ein, wie schon zu Anfang geschrieben, sehr lebendiger, tiefgründiger und intimer Austausch. Herzlichen Dank an unseren Gast für diese Bereicherung.
https://kaiserpeter.com/therapeutischer-hintergrund/
Datum: | 28.06.2024 |
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Uhrzeit | 20:00 Uhr |
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